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„Automatisierung bietet eine grundlegende Chance, den öffentlichen Verkehr zu verbessern”

Verkehrswissenschaftlerin Barbara Lenz spricht im Interview über die Rolle von autonomer Mobilität in der Zukunft, die Balance zwischen technischer Innovation und menschlichen Verhaltensweisen und den wichtigsten Faktoren für die Akzeptanz von autonomer Mobilität.

Prof. Dr. Barbara Lenz ist Verkehrswissenschaftlerin und beschäftigt sich mit den Themen Verkehr, Mobilität und Kommunikation im Kontext unterschiedlicher technischer, ökologischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Bedingungen. Seit mehr als einem Jahrzehnt arbeitet sie auch zum autonomen Fahren und zu autonomen Mobilitätsangeboten. Aktuell moderiert sie den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen wissenschaftlichen Teams, die in der Begleitforschung von derzeit laufenden Projekten zum autonomen Fahren im öffentlichen Verkehr aktiv sind. Ziel ist es, gemeinsam ein projektübergreifendes Bild zur Akzeptanz autonomer Dienste im ÖPNV wie auch zu den Erwartungen und Anforderungen der Nutzenden zu erstellen.

Im Interview spricht Barbara Lenz über die Rolle von autonomer Mobilität in der Zukunft, die Balance zwischen technischer Innovation und menschlichen Verhaltensweisen und wie diese auf die Klimaziele einzahlen. Außerdem erklärt sie die wichtigsten Faktoren für die Akzeptanz von autonomer Mobilität.

Sie haben bereits 2015 das Buch „Autonomes Fahren. Technische, rechtliche und gesellschaftliche Aspekte“ veröffentlicht. Welche Ihrer damaligen Erkenntnisse haben sich inzwischen überholt?

Vieles davon ist immer noch aktuell. Was sich aber deutlich verändert hat, ist die allgemeine Bekanntheit des Themas. Die Frage „Haben Sie schon einmal vom autonomen Fahren gehört?“ hat damals noch fast die Hälfte der Befragten verneint. Heute ist das Thema stärker verbreitet. Die Neugier und Bereitschaft, sich mit autonomem Fahren auseinanderzusetzen, sind gewachsen. Allerdings lag der Fokus vor zehn Jahren noch stark auf dem autonomen Fahren im privaten PKW, während der öffentliche Verkehr in dieser Diskussion eher eine Nebenrolle spielte. Heute ist der öffentliche Verkehr ein viel wichtigerer Bestandteil der Debatte.

Wie schätzen Sie das ein: Gibt es ein menschliches Bedürfnis nach autonomer Mobilität?

Es gibt ein Bedürfnis nach Mobilität, aber sicher kein Bedürfnis nach autonomer Mobilität. Außerdem müssen wir hier bei autonomer Mobilität unterscheiden zwischen Individualverkehr und öffentlichem Verkehr. Im öffentlichen Verkehr sehen wir die noch relativ junge Entwicklung, dass der Mangel an Fahrer*innen stärker in den Fokus rückt. Das ist ja auch nachvollziehbar. Die Automatisierung bietet vor allem jedoch eine grundlegende Chance, den öffentlichen Verkehr durch den Ausbau des Angebotes zu verbessern. In Randzeiten, wie z.B. in den Abendstunden, könnten leistungsfähige Bedarfsverkehre eingerichtet werden, autonome Linien- und Bedarfsverkehre könnten umfassende öffentliche Mobilität im ländlichen Raum sichern, im städtischen Umfeld ließen sich höhere Frequenzen und ausgedehntere Bedienzeiten im Linienverkehr realisieren. Wenn das Angebot des öffentlichen Verkehrs umfangreicher und flexibler wird, wird er für mehr Menschen eine attraktive Alternative zur PKW-Nutzung. Wir können so Umwelt- und Klimaschutz ausdrücklich vorantreiben. Ganz unmissverständlich: Autonomes Fahren im öffentlichen Verkehr dient sowohl den individuellen Mobilitätsbedürfnissen als auch der gesellschaftlichen Notwendigkeit, nachhaltige Mobilitätsoptionen zu stärken.

Wo sehen Sie den Schlüssel für eine erfolgreiche Verkehrswende?

Der Schlüssel liegt im Ausbau gemeinschaftlich genutzter Mobilitätsformen sowie attraktiver und sicherer Möglichkeiten zu aktiver Mobilität, sprich: Radfahren und Zu Fuß-Gehen. „Gemeinschaftliche Nutzung“ bedeutet zuallererst „öffentlicher Verkehr“, idealerweise ergänzt durch Angebote an Shared Mobility. Das gilt nicht nur für die großen Städte, sondern auch für die kleineren Städte und den ländlichen Raum. Durch Digitalisierung und Automatisierung lassen sich ÖPNV und Sharing auch in weniger dicht besiedelten Gebieten attraktiv und effizient gestalten.

Was sind Ihrer Meinung nach die beiden wichtigsten Faktoren für die Akzeptanz autonomer Mobilität?

Ganz oben auf der Liste steht die Sicherheit. Das ist eine Grundvoraussetzung: Ohne Sicherheit gibt es keine Akzeptanz. Das Fahrzeug muss sich sicher durch den Verkehr bewegen, und die Menschen wollen sich auch im Fahrzeug sicher fühlen. Der zweite, ganz wichtige Faktor, wenn es um das autonome Fahren im öffentlichen Verkehr geht, ist die Verfügbarkeit: Wenn Automatisierung dazu führt, dass öffentliche Verkehrsangebote ohne lange Wartezeiten zur Verfügung stehen, wenn man sie braucht, ist die Akzeptanz hoch. Dort, wo Pilotprojekte eine erste unmittelbare Berührung mit den Möglichkeiten des autonomen Fahrens hergestellt haben, stellen wir immer wieder fest, dass es viele Menschen gibt, die auf den autonomen öffentlichen Verkehr geradezu warten. Sie machen sich keine Sorgen wegen der Technik, sondern warten darauf, dass er endlich verfügbar wird und sie in autonomen Fahrzeugen unterwegs sein können.

Welche konkreten Schritte sind jetzt nötig, um autonome Mobilität in Städten zu ermöglichen?

Es braucht weitere Arbeiten an den technischen und auch rechtlichen Voraussetzungen, um das autonome Fahren auch ohne Sicherheitsfahrer*in möglich zu machen. Es braucht die Bereitschaft der Städte und Kommunen, sich auf die Innovation „autonomes Fahren“ einzulassen. Das bedeutet auch, gemeinsam mit den Ländern und dem Bund die notwendigen Investitionen aufzubringen. Und schließlich wächst angesichts neuerlicher Entwicklungen und Ankündigungen auch die Zuversicht, dass es Fahrzeughersteller aus Deutschland sein werden, mit denen wir in die Automatisierung starten.

Welches ist aktuell Ihre wichtigste Frage zur Mobilität der Zukunft?

Im Moment beschäftigt mich die Frage, wie man die richtige Balance zwischen Angebotsverbesserung und Verhaltensänderung finden kann. Es geht darum, wie wir den öffentlichen Raum so gestalten können, dass er vielen berechtigten Interessen gerecht wird, vor allem aber zur Lebensqualität der Menschen in Städten und Gemeinden beiträgt, und wie wir in diesem Zusammenhang die Menschen zu einem nachhaltigen Mobilitätsverhalten bewegen können, ohne sie zu verlieren.

Mit wem würden Sie sich gerne zum Thema Mobilität der Zukunft austauschen und warum?

Der erste, der mir in den Sinn kommt, ist Friedrich Merz. Mobilität zu ermöglichen, ist wichtiger Teil der Daseinsvorsorge und damit Chefsache. Aber eigentlich sind es nicht nur Minister, der Bundeskanzler oder der Bundespräsident, die ich ansprechen würde. Diese Personen haben oft zu wenig direkte Erfahrung mit dem normalen Alltagsverkehr. Ich bin der festen Überzeugung, dass man Verkehr erleben muss, um die tatsächlichen Probleme und die realen Herausforderungen zu begreifen. Es geht darum, die Probleme im Alltag zu erleben, anstatt sie nur aus der Ferne zu betrachten.

Zur Person:

Prof. Dr. Barbara Lenz ist Verkehrswissenschaftlerin und Geographin. Von 2007 bis 2021 war sie Leiterin des DLR Instituts für Verkehrsforschung in Berlin und Professorin für Verkehrsgeographie an der Humboldt-Universität zu Berlin, wo sie weiterhin lehrt. Sie ist heute freiberuflich als Beraterin und Gutachterin tätig. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die Akzeptanz neuer Technologien im Verkehrssektor, insbesondere das autonome Fahren und dessen Auswirkungen auf die Nachfrage im Personen- und Güterverkehr. Sie ist in verschiedenen nationalen und europäischen Gremien aktiv, unter anderem im Wissenschaftlichen Beirat des VDV, im Klimabeirat der Hansestadt Hamburg, im Wissenschaftlichen Beirat der französischen CEREMA (Centre d'études et d'expertise sur les risques, l'environnement, la mobilité et l'aménagement) und in der Arbeitsgruppe „Urban Mobility“ des European Institute of Innovation and Technology. 2013 wurde ihr der Verdienstorden „Chevalier dans l’Ordre National du Mérite“ von der Republik Frankreich für ihr Engagement in der transnationalen Forschungskooperation verliehen.

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